Berlin 2030 – Eine demografische Geisterfahrt
Berlin erlebt seit 15 Jahren einen anhaltenden, dynamischen Aufschwung. Seit 2005 wuchs die Zahl der Erwerbstätigen um 450.000, allein 2018 um 48.000. Die Bevölkerung wuchs seit 2005 um 410.000 Einwohner. Die Arbeitslosenquote hat sich halbiert. Das Wachstum des BIP liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt.
Diese Erfolgsgeschichte ist zum einen der nachholenden Metropolenentwicklung geschuldet, zum anderen der Tatsache, dass die Attraktivität der Stadt für junge Leute und das Vorhandensein großer Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtung exzellente Startbedingungen für die nächste Stufe der industriellen Entwicklung (Industrie 4.0) bieten.
Restriktiv sind allerdings die wohnungspolitischen Rahmenbedingungen, die mit diesem Wachstum nicht Schritt halten und zu echten Wachstumsbremsen werden können. Die Schlangen vor den verfügbaren Wohnungen sprechen Bände. Die Grundstückspreise sind im letzten Jahr um 20% gestiegen. Wohnen wird immer teurer und die Schere zwischen den Netto-Einkommenszuwächsen und den Mietsteigerungen wird größer.
Dass in einer solch angespannten Situation die Debatte um „Enteignungen“ auflebt und der Senat in seiner Not einen „Mietendeckel“ beschließt, kann man zwar als verständlich bezeichnen, ist aber eher ein Offenbarungseid für unterlassene politische Weichenstellungen in den vergangenen zehn Jahren wie auch der aktuellen.
Berlin hat zum 31.12.2018 den Stand von 3.748.148 Einwohner erreicht. In seinen Prognosen geht der Senat davon aus, dass bis 2030 lediglich 80.000 hinzukommen werden, also 6.700 jährlich. Tatsächlich ist der Zuzug sechsmal so hoch. Es müssten nicht 200.000 Wohnungen, sondern 300.000 Wohnungen neu gebaut werden, um dem tatsächlichen Bedarf gerecht zu werden.
Wird dies unterlassen, so wird der Druck auf die Mieten und die neu errichteten Wohnungen nochmals zunehmen. Es ist ein Planerglaube, dass dieser Druck massiv in die Region und das Umland umgeleitet werden könnte.
Der Wohnflächenverbrauch pro Kopf geht stetig zurück: von 40,1 m² in 2013 auf 38,2 m² in 2016. Die Verdichtung findet in den Wohnungen statt. Vor allem für junge Familien und neu Hinzuziehende.
Die Nachverdichtung von Quartieren, wie es der „Kontraktionsplan“ von Dieter Hoffmann-Axthelm vorschlug, ist politisch nicht gewünscht. Dies führt dazu, dass Berlin trotz vieler vorhandener Flächen ein „Flächenproblem“ hat. So wurden laut Recherchen des Bundes Deutscher Architekten über 50% möglicher Nachverdichtungen in Berlin nicht genehmigt – über 9.000 Wohnungen!
Der angespannte Wohnungsmarkt macht deutlich, dass schon in der Vergangenheit fast 80.000 Wohnungen zu wenig gebaut wurden. Diese Fehlentwicklung in die Zukunft fortzuschreiben und davon auszugehen, dass ab 2023 das Bevölkerungswachstum geringer ausfallen würde, kann man nur als „demografische Geisterfahrt“ bezeichnen.
Es stellt sich die Frage, wie lange die Stadtgesellschaft diese politische Mutlosigkeit hinzunehmen bereit ist. Den "Stadtentwicklungsplan Wohnen" in der vorgelegten Form zu stoppen, war überfällig. Dass Michael Müller diesen Schritt wagte, verdient Respekt.